Der Gott der kleinen Dinge

Ayemenem, ein Dorf im südindischen Kerala. Die siebenjährigen Zwillinge Rahel und Estha erwarten mit Spannung die Ankunft ihrer englischen Verwandten: Aus dem fernen Europa reist Margaret, die Ex-Frau ihres Onkels Chacko, gemeinsam mit der neunjährigen Tochter Sophie an.

Während das Haus und die Familie sich herausputzen, vertreiben Rahel und Estha sich die Zeit. Besonders gern besuchen sie Velutha, einen Angestellten der Konservenfabrik ihrer Großmutter. Velutha ist Schreiner und ein geschickter Handwerker, in der Fabrik hat er sich unentbehrlich gemacht. Obwohl er zur Kaste der Unberührbaren gehört, wird er von den Familienmitgliedern geschätzt und geachtet und von Rahel und Etha abgöttisch geliebt.

Kerala, Indien
Die Zwillinge Rahel und Estha warten auf ihre Cousine

Als Sophie und Margaret in Ayemenem eintreffen, sind die Zwillinge hingerissen von ihrer englischen Cousine, ehrfürchtig bestaunen sie deren zitronengelbe Hose und das seidig glänzende Haar. Schnell freunden sie sich an und bald spielen die drei Kinder gemeinsam am Fluss. Unterdessen brechen in der Familie alte Konflikte auf.

Rahel und Esthas Mutter, die schöne und noch junge Ammu, ist geschieden. Ihre Ehe mit einem Hindu aus Bengalen zerbrach und Ammu kehrte zurück in den Schoss ihrer syrisch-orthodoxen Familie, verarmte Großgrundbesitzer, die zur anglophilen Mittelschicht Keralas gehören. Von den einstigen Reichtümern sind nur der Stolz und Hochmut geblieben, Ammus Mutter bringt den Clan mit ihrer Konservenfabrik durch.

Kerala, Indien
Rahel und Estha kehren im Morgengrauen allein zurück

Ammu findet als Geschiedene keinen würdigen Platz in der Familie und in einem Akt der Rebellion setzt sie sich über den strengen Sittenkodex hinweg. Sie geht heimlich ein Verhältnis mit Velutha ein und fordert so den »Gott der kleinen Dinge« heraus. Als die Familie davon erfährt, sperrt sie Ammu in ihrem Zimmer ein. Hinter verriegelter Tür klagt die Eingekerkerte ihre Kinder an und macht sie für ihr Unglück als geschiedene Frau verantwortlich.

Rahel und Estha reißen aus, mit Sophie wagen sie eine nächtliche Bootsfahrt auf dem Fluss. Die Zwillinge kehren allein im Morgengrauen zurück, Sophie wird tot aus dem Wasser geborgen.

Die Polizei geht Gerüchten von Kindesmissbrauch nach und Velutha gerät ins Visier der Ermittler …

Die Tragik einer gnadenlosen Moral

Kerala, Indien
Die malerische Landschaft wird zum Schauplatz eines Dramas

Mit ihrem Romandebut »Der Gott der kleinen Dinge« wurde Arundhati Roy 1997 weltweit bekannt, das Buch wurde zum internationalen Bestseller und gewann unter anderem den Booker Prize.

Die Geschichte von Rahel, Estha, Ammu und Velutha erzählt die Autorin in Rückblenden. Die mittlerweile 31-jährige Rahel kehrt 1993 nach Ayemenem zurück und berichtet von jenen Wochen im Dezember 1969, in denen zwei Menschen starben und ihre Familie zerbrach. Die kleine Rahel wurde von ihrem Bruder Zwillingsbruder Estha getrennt, der fortan bei seinem Vater in Kalkutta leben musste und für immer verstummte.

Kerala, Indien
Aymanam liegt nahe der Küstenstadt Kochi

Der Roman prangert die postkolonialen Machtverhältnisse an, die Ungerechtigkeiten zwischen den Angehörigen verschiedener Ethnien, Klassen, Kasten und vor allem die alltägliche Diskriminierung von Frauen.

Die Handlung ist in sich geschlossen, im Unterschied zu Roys zwei Jahrzehnte später erschienenem Buch »Das Ministerium des äußersten Glücks«. Der Spannungsbogen trägt durch die Geschichte und das Lesevergnügen bleibt ungetrübt, trotz der Vielzahl der Figuren und der gelegentlich eingestreuten Begriffe auf Malayalam, der Amtssprache Keralas.

Die von Allegorien durchzogene Sprache lässt die Welt der Backwaters, einem verzweigten Wasserstraßennetz, vor dem inneren Auge Gestalt annehmen. Man taucht tief ein in die ferne Welt Keralas und gewinnt einen Einblick in das Leben einer indischen Dorfes wie Aymanam, gelegen nahe der Städe Kottayam und Kochi.

Ein farbiger, politischer und tiefgründiger Roman, der lange nachwirkt.

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