Die acht Leben der Frau Mook

Frau Mook hat schon viele Leben gelebt. Sie war Fluchtkünstlerin und Sklavin, Spionin und Terrroristin, Mutter und Mörderin, Hochstaplerin und Geliebte.

Jetzt beschließt sie ihren Lebensabend im Golden Sunset, einem Altersheim in der Millionenstadt Seoul. Dort spricht sie mit einer Nachrufschreiberin über ihr bewegtes Leben.

Mook Miran war anders. Sie war nicht wie diese typischen tragischen Gestalten. Zunächst einmal war sie die erste weibliche Aufschneiderin, die ich im Golden Sunset traf ... Die standhafteste Lügnerin, die ich je gesehen habe.
MIRINAE LEE - Die acht Leben der Frau Mook

Ihre Geschichten streifen ein Jahrhundert koreanischer Geschichte, geprägt von radikalen Umbrüchen und brutaler Gewalt. Die japanische Kolonialzeit überlebt Frau Mook nur knapp, doch mit List gewinnt sie die Kontrolle über ihr Leben zurück …

Die radikalste Form von Widerstand

Mit ihrem Romandebüt sprengt die südkoreanische Autorin Mirinae Lee Genregrenzen, ihr fantasievoll komponiertes Werk bewegt sich zwischen Historiendrama, Hochstaplerinnengeschichte und Charakterstudie einer Überlebenden.

Der Stil ist dabei kühl und klar, die Sprache karg. Die in verschiedenen Formen wiederkehrende Brutalität schildert Lee nüchtern und ohne Pathos – und gerade deshalb wirken die Ereignisse umso verstörender.

Dein Studentenleben in Pjöngjang war toll, aber die Geheimpolizei war kein Scherz ... wer zufällig im Besitz von staatsfeindlicher Schmuggelware erwischt wurde, musste mit dem Erschießungskommando rechnen. Du hattest im Jahr zuvor gesehen, wie drei deiner Kommilitonen durch Kopfschuss getötet wurden. Das war die übliche öffentliche Hinrichtung auf dem Campus, am helllichten Tag.
MIRINAE LEE - Die acht Leben der Frau Mook

Die Kolonialherrschaft der Japaner, der Koreakrieg, die Trennung von Nord und Süd, das Leben in der Diktatur und im Exil; all das durchzieht Mooks Biografie, ohne jemals zur bloßen Kulisse zu verkommen. Mirinae Lees eigene Familiengeschichte fließt spürbar in den Roman ein (die Großtante war eine nordkoreanische Überläuferin), das verleiht dem Roman Authentizität und emotionale Tiefe.

Zu den erschütterndsten Momenten des Romans gehören dabei sicherlich die Passagen über Mooks Zeit als sogenannte »Trostfrau« (ein euphemistischer Begriff für Zwangsprostituierte in den japanischen Militärbordellen des zweiten Weltkriegs).

Unser Zielort stellte sich als Semarang in Indonesien heraus, wo sich einer der unzähligen kaiserlich japanischen Militärstützpunkte in Asien befand. Wir sollten auf der sogenannten Troststation des Stützpunktes dienen. In unserer ersten Nacht in Semarang lernten wir, was Trost für sie bedeutete.
MIRINAE LEE - Die acht Leben der Frau Mook

Als Hauptfigur bleibt Mook schwer zu fassen; mal gibt sie sich distanziert, mal distanzlos offen, stets umweht sie ein Hauch von Ironie. Ihre Identität scheint fragmentiert, umspielt aber einen unveränderlichen Kern aus Trauma, Überlebenswillen und listiger Intelligenz. Nebenfiguren – wie Liebhaber, Funktionäre oder Agenten – sind dagegen bewusst unscharf gezeichnet und dienen als Reflexionsflächen für Mooks wechselnde Rollen und Loyalitäten.

Dass Mook eine unzuverlässige Erzählerin ist, macht den Roman umso reizvoller. Immer wieder stellt sich die Frage: Was ist Erinnerung, was Fiktion? Wo endet das biografische Erzählen, wo beginnt das Rollenspiel? Mirinae Lee spielt virtuos mit dieser Unschärfe und setzt ein Statement: In einer Welt, in der Frauen wie Mook zur Unsichtbarkeit gezwungen wurden, ist das Erfinden der eigenen Geschichte vielleicht die radikalste Form von Widerstand.

Ein ebenso spannender wie vielschichtiger Roman, der historisches Gedächtnis und narrative Selbstermächtigung eindrucksvoll vereint. Kraftvoll und bewegend, ein Buch das lange nachwirkt.

Mirinae LeeDie acht Leben der Frau Mook Karen Gerwig Unionsverlag 2025
Wikimedia Commons
1: Kim Il-Sung Universität in Pjöngjang / © David Clayton Ellsworth, (CC BY-SA 4.0)
2: Koreanische »Trostfrauen« nach ihrer Befreiung durch die US-Army / U.S. Army, Public domain
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