Mathilde ist jung verwitwet, mit ihren drei Söhnen lebt sie in Paris. Ihr Alltag verläuft in geordneten Bahnen, die Kinder sind selbstständig und Mathilde investiert in ihre Karriere viel Herzblut.
Der Erfolg gibt ihr Recht, als stellvertretende Marketingleiterin eines internationalen Konzerns erfährt sie viel Anerkennung und Respekt, auch und gerade von ihrem Chef Jacques. Doch an einem Montagvormittag im September wendet sich das Blatt.
In einer Diskussion vertritt Mathilde eine andere Meinung als ihre Chef. Im Gegensatz zu ihren Kollegen wagt sie es, Jacques vor Dritten zu widersprechen. Freundlich, sachlich, aber bestimmt.
Danach verschiebt sich das Klima. Jacques putzt Mathilde herunter, kritisiert ihre Arbeit, macht sie lächerlich vor den Kollegen. Zu Meetings lädt man sie nicht mehr ein, E-Mails mit ihren Arbeitsergebnissen verschwinden im Nirwana.
Wenn Mathilde einen Raum betritt, blicken die Kollegen jetzt angestrengt auf den Bildschirm. Man betreut sie nur noch mit belanglosen Aufgaben, bis auch diese völlig verebben. Die morgendliche Fahrt ins Büro wird für Mathilde zum Weg in die Hölle.
Immer wieder überlegt sie, was sie falsch gemacht hat. Grübelt, wie sie Jacques doch noch zum Einlenken bewegen kann. Bemüht sich um Klärung, um die Beilegung eines Missverständnises. Schließlich setzt sie eine verzweifelte Hoffnung auf den 20. Mai.
Jenen Tag, für den man ihr vorhergesagt hat, ihr Leben werden sich ändern …
Lautlose Vernichtung
In klarer Sprache erzählt Delphine de Vigan von zerstörerischem Mobbing, einer zunächst lautlosen Ausgrenzung und schließlich offenen Aggression, die aus der selbstbewussten, kompetenten und lebensfrohen Mathilde ein unsicheres und verhuschtes Wesen macht.
Der Anlass erscheint im Rückblick nichtig, ein Meeting, bei dem sich Mathildes Chef Jacques einen Hahnenkampf mit einem externen Berater lieferte. Jacques verletztes Ego kennt kein Pardon, er schickt sich an, seine Mitarbeiterin mit Haut an Haar zu vernichten.
Der Roman taucht tief in Mathildes Gefühlswelt ein, zeichnet ihr ungläubiges Staunen, die dissonante Verschiebung des Erwartbaren nach. Um den Halt nicht zu verlieren, sucht Mathilde verzweifelt nach einer eigenen Schuld und einem Ausweg. Doch all ihre Versuche, sich aus der Zwangslage zu befreien, hintertreibt Jacques mit fiesen Querschlägen. Schließlich gleitet Mathilde in eine bodenlose Erschöpfung ab.
Spiegelbildlich dazu fährt der mobile Arzt Thibault durch die anonyme Großstadt, absolviert Hausbesuch um Hausbesuch bei unbekannten Patienten. Nebenbei trauert er seiner desinteressierten Geliebten nach, die er unter Aufbietung seines letzten Stolzes gerade verlassen hat.
Thibault und Mathilde verbindet der Schmerz des Nicht-gesehen-werden. Beide sind auf unterschiedliche Weise zutiefst verletzt, beide werden sich in der Metropole begegnen. Und auch, wenn die Geschichte dann ganz anders ausgeht, als erwartet: ein lautlos gellender Schrei hallt diesem schonungslosen Roman lange nach.