Die Unwürdigen

Oslo in der 1940er-Jahren. Die Hauptstadt ist von den Deutschen besetzt, doch die Jugendlichen Carl, Olav und Roar haben ganz andere Probleme.

Ihre Familien sind arm, zum Leben hat es schon in Friedenszeiten kaum gereicht. Sie sammeln Flaschen und Altpapier, reparieren Schrottreifes, lackieren »gefundene« Fahrräder um. Vom Erlös kaufen sie Lebensmittel für ihre Familien.

Marken hatten sie genug, was einem Schachfreund von Roar mit Kontakten zum Versorgungsamt im Rathaus zu verdanken war.
ROY JACOBSEN - Die Unwürdigen

Eigentlich gehen die drei noch zur Schule, doch zum Lernen haben sie immer seltener Zeit. Als erst der eine Vater verschwindet und dann der nächste, beginnt für sie endgültig der Ernst des Lebens. Nachts gehen die Freunde auf Raubzug und plündern in leerstehenden Villen. Die kostbare Beute verticken sie auf dem Schwarzmarkt, Uhren, Schmuck, Lebensmittel und Alkohol.

Zum Haupternährer ihrer Familien avanciert, nehmen sich die Jungs immer mehr Freiheiten heraus und geben sich bald wie Erwachsene. Olav teilt das Bett mit Carls Schwester Mona, und Carl tritt in die viel zu großen Fußstapfen seines Vaters.

Er vermisste seinen Vater. Nicht nur um fragen zu können, warum zum Teufel er seinen Sohn für einen Auftrag in eine deutsche Truppenunterkunft geschickt hatte. Sondern als Vater.
ROY JACOBSEN - Die Unwürdigen

Ungerührt nimmt Carl einen Bürojob bei den Deutschen an. Und wird kurz darauf vom Widerstand kontaktiert …

Erwachsenwerden in Kriegszeiten

Oslo unter deutscher Besatzung im zweiten Weltkrieg. Roy Jacobsen schildert diese bedrückende Zeit aus der Perspektive Jugendlicher, Schuljungen die einiges mitkriegen und anfangs doch wenig verstehen. Und die mit dem zunehmend seltsamen Verhalten der Erwachsenen konfrontiert sind.

Da verschwindet Olavs Mutter Lilian immer tagsüber, während sein Vater Arne auf dem Dachboden hockt. Es wird geraunt, Gerüchte machen die Runde. Und dann verschluckt die Besatzung zuerst die Väter, später auch Freunde und Geschwister.

Lilian fing an auszugehen, zu seltsamen Tageszeiten, angeblich, um Freundinnen zu treffen, von denen Aaron noch immer nichts zu sehen bekam und über die er nur vage Andeutungen hörte ...
ROY JACOBSEN - Die Unwürdigen

»Die Unwürdigen« ist eine Geschichte vom Überleben der Ärmsten in Kriegszeiten. Jacobsen erzählt sie über größere Strecken in Dialogen, ohne die Sprechenden dabei zu benennen. Das erschwert den Einstieg in die Geschichte, anfangs muss man sich stark konzentrieren um mitzubekommen, welche Person gerade redet.

Als Stilmittel spiegelt dies die jedoch die Orientierungslosigkeit und Verwirrung der Jugendlichen. Bis kurz vor dem Ende des Romans bleibt Jacobsen strikt bei ihrer Perspektive, mutet den Leser*innen Unerklärtes und Leerstellen zu. Letztlich können die Jungen nur einander ganz vertrauen.

Zum Abschluss des Buches schließt Jacobsen jedoch den Kreis, er führt lose Fäden zusammen, berichtet vom Widerstand und wirft ein Schlaglicht auf das Leben der Protagonisten nach dem Krieg. Von den drei Hauptfiguren hat eine nicht überlebt, und ein Elternpaar wird für immer getrennt bleiben: voneinander, von ihren Kindern, von Norwegen und ihrem alten Leben.

Ein eindringlicher Roman über das Leben von Kinder und Jugendlichen in Kriegszeiten, die viel zu schnell erwachsen werden müssen. Leider ein viel zu aktuelles Thema.


Roy JacobsenDie Unwürdigen Gabriele Haefs, Andreas Brunstermann C.H. Beck 2023
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