In Zeiten des abnehmenden Lichts

Buchcover1952. Die Kommunistin Charlotte und ihr zweiter Ehemann Wilhelm Powileit kehren aus dem mexikanischen Exil zurück. Beide brennen darauf, in der DDR den neuen sozialistischen Staat mit aufzubauen.

Zehn Jahre später leben sie in einem großzügigen Haus, bekleiden Posten in der Verwaltung, sind angesehen in der Partei.

Sie selbst hatte ihn ermutigt, den Posten des Wohnbezirksparteisekretärs zu übernehmen, sie hatte ihm eingeredet, dass dies eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe sei - das Problem war nur, dass Wilhelm dies inzwischen selbst glaubte.
EUGEN RUGE - In Zeiten des abnehmenden Lichts

Und auch Kurt ist zurückgekehrt, der verschollene Sohn, entlassen aus der Lagerhaft im sibirischen Slawa. Im Gepäck hat er Irina und Alexander, seine russische Ehefrau und den gemeinsamen Sohn. Die lebenslustige Irina wird zum strahlenden Zentrum ihrer kleinen Familie.

UralDoch mit den Jahren beginnt das Glück zu schmelzen. Kurt quält die Erinnerung an den Gulag, Irina hadert mit dem Alter und beginnt zu Trinken.

Schwer zu glauben, dass er das alles ... überlebt hatte … 1942/43, als es nicht mehr zu tauschen gab, schon gar kein Brot, das jeder selbst auffraß. 600 Gramm bei Normerfüllung, das bedeutet ... acht Festmeter Holz zu zweit, vierzehn Bäume täglich, alles mit der Hand …
EUGEN RUGE - In Zeiten des abnehmenden Lichts

Der heranwachsende Alexander rebelliert, treibt sich herum, heiratet, schmeißt sein Studium, verlässt Frau und Kind, und haut schließlich ab, in den Westen.

Als Wilhelm im Oktober 1989 seinen Neunzigsten feiert, kommt es auf der großen Feier zum Eklat …

So einer war nun Oberst bei der Staatssicherheit – während man ihn, Wilhelm, damals nicht übernommen hatte: Westemigrant! Bis heute kränkte es ihn.
EUGEN RUGE - In Zeiten des abnehmenden Lichts

Schweigen, Feiern, Leben

Was für eine Familie! Basierend auf seiner eigenen Biografie hat Eugen Ruge einen prallen Gesellschaftsroman geschrieben, der über die Grenzen der DDR hinaus führt. Er selbst wurde als Kind eines Deutschen und einer Russin im Ural geboren, aus seiner Geburtsstadt Soswa machte er im Roman den Ort »Slawa«.

Die Geschichte beginnt mit den Mexiko-Heimkehrern Charlotte und Wilhelm, beide stramme Parteisoldaten, Charlotte jedoch innerlich zerrissen. Und sie endet mit deren Urenkel Markus, der in der Nachwendezeit mit den Rechten sympathisiert.

Sie war eine schlechte Genossin. Ihr Kopf ... verstieß ständig gegen die Parteidisziplin. Was wäre sie heute, fragte sie sich, ohne die Partei? ... Noch heute würde sie kunststopfen und bügeln für Herrn Oberstudienrat Umnitzer, der sie mit seinen Schülerinnen betrog …
EUGEN RUGE - In Zeiten des abnehmenden Lichts

Ruge erzählt von geplatzten Idealen und dem kleinen Glück, von Linientreue und geheimer Rebellion, von Sprachlosigkeit inmitten vieler Worte, von Liebe und Verachtung. Und vom Aufbruch in eine neue Zeit, den die Alten nicht mehr mitgehen können und wollen.

Mit kantigen Figuren und herrlich bissigen Dialogen spiegelt der Roman die großen Themen in den kleinen Dramen des Alltags, zu denen auch ein phänomenal misslungenes Weihnachtsfest gehört.

Ein Mal noch Weihnachten in diesem Haus. Ein Mal Klostergans. Ein Mal Klöße, so wie es sich gehörte. Und dann, dachte sie, können sie mich hier raustragen ... Und zwar mit den Füßen zuerst! Prost.
EUGEN RUGE - In Zeiten des abnehmenden Lichts

»In Zeiten des abnehmenden Lichts« glänzt mit seiner klaren Sprache und dem subtilen Witz. Herausgekommen ist eine sehr unterhaltsame Familienchronik, die einiges über das Leben in der DDR und die hiesigen Nachkriegsbiografien erzählt. Mehrfach preisgekrönt, unter anderem mit dem Deutschen Buchpreis.

Ulrich Noethen (Ostende 1936) liest das Hörbuch brillant, er verleiht jeder der Figuren eine ganz eigene Stimme. Im Jahr 2017 wurde das Buch von Matti Geschonneck (Unterleuten) verfilmt.

Mehr über die kommunistischen Mexiko-Exilanten erzählt der dokumentarische Roman »Brennendes Licht« von Volker Weidermann. Der Film »Und der Zukunft zugewandt« greift das Thema deutscher Gulag-Internierter auf und erzählt von der zu Unrecht verurteilten Antonia, die 1952 in der DDR neu anfangen will und über das Erlebte schweigen muss.

Ruges packender Roman »Metropol« handelt von Charlottes und Wilhelms Vorgeschichte: in den Dreißigerjahren lebt das Paar in Moskau und gerät in den Alptraum von Stalins Säuberungsmaschinerie. Eugen Ruges Vater Wolfgang (aka »Kurt«) erzählt in »Gelobtes Land« von seinen Jahren in der Sowjetunion.

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